0. Einführung
1. Grundsätzliches zur Internetethik
2. Internetaktivitäten, deren Verbot generell sinnvoll erscheint

3. Herwart Holland-Moritz: Eine Stimme aus Deutschland für grenzenlose Meinungsfreiheit

4. Die technischen Gegebenheiten und ihre ethische Problematik
5. Rechtliche Situation in Deutschland
6. Ethische Bewertung
7. Resümee
8. Literatur




3. Herwart Holland-Moritz:
Eine Stimme aus Deutschland für grenzenlose Meinungsfreiheit


Da die Diskussion um Zensur und Meinungsfreiheit im Internet größtenteils vor dem Hintergrund der amerikanischen Verfassung geführt wird (52) , ist es schwierig, fundierte politische oder sozial-ethische Texte zu finden, die sich mit dem Thema “Zensur” im weiteren Sinne beschäftigen und dabei ihre Thesen losgelöst von den Vorgaben der amerikanischen Verfassung diskutieren. Das amerikanische Verständnis der Meinungsfreiheit scheint für die Diskutanten so selbstverständlich zu sein (was vielleicht auch eine pragmatische Entscheidung darstellt), daß eine Darstellung und Diskussion der hinter dem Verfassungsprinzip stehenden philosophisch-politischen Vorstellungen nicht erfolgt. Auch die deutschen Vertreter, die statt der deutschen Verfassungswirklichkeit eher für eine an amerikanischen Verhältnissen orientierten Form der Meinungsäußerungsfreiheit eintreten, neigen eher dazu, einzelne negative Beispiele zu nennen, als ihre Gedanken strukturiert der heutigen Praxis entgegenzustellen.
Hier soll anhand von Stellungnahmen von dem nur als “Wau Holland” bekannten im Juli 2001 verstorbenen Mitbegründer des Hackervereins “Chaos Computer Club”, Herwart Holland-Moritz, der sicherlich zu den einflußreichsten Hackern Deutschlands gehörte, (53)  eine grobe Skizze der hinter der Forderung nach grenzenloser Meinungsäußerungsfreiheit stehenden Überlegungen versucht werden.
Holland-Moritz begründete sein Eintreten gegen jede Zensur der Onlinekommunikation damit, daß er “gewaltlose Meinungsfreiheit” als “das grundlegendste Menschenrecht” ansieht. Jeder Versuch, es einzuschränken oder zu begrenzen führt “auf einen gefaehrlichen Weg.” (54)  Hinter seiner Forderung, grundsätzlich keine Einschränkung der Meinungsfreiheit zuzulassen, steht die einfache Überlegung, daß die Grenzen einer Grundrechtsbegrenzung nicht exakt gezogen werden könnten und somit das Recht selbst auch durch scheinbar sinnvolle Begrenzungen gänzlich unterlaufen und ausgehöhlt wird. Seine Befürchtungen führt er aus an dem Beispiel einer fiktiven “gewaltarmen” “RAF lite”, die den hessischen Ministerpräsident Roland Koch wegen der Spendenaffäre verprügeln lassen will - “natürlich unter Einhaltung aller UN-Anti-Folterauflagen.” (55)  Um seine These, daß eine exakte Grenzziehung zwischen gerechtfertigter Beschränkung der Meinungsfreiheit und verfassungswidrigem Eingriff in die Grundrechte nicht möglich ist, zu illustrieren, diskutiert er die Folgen eines solchen Planes: “Wenn die gewaltarme Gruppe nun dafür Geld sammelt, ist das schon der Aufruf zu einer strafbaren Handlung? Ist bereits dieses Nachdenken, wie ich es jetzt hier tue, ein Aufruf? Ist [das Onlinemagazin] Telepolis [das dieses Interview veröffentlichte] dran, weil hier diese Idee - auch wenn nur als Zitat - verbreitet wird?” Holland sieht keine befriedigende Lösung auf die von ihm gestellten Fragen und folgert: “Wenn man dieses Fass aufmacht, dann stirbt die Pressefreiheit.” (56)  Auf pragmatischer Ebene sieht er grundsätzlich keine sinnvollen Gründe, Medieninhalte zu zensieren bzw. ihre Verbreitung unter Strafe zu stellen: “Wenn man sich die [hessische Spendenaffäre ...] anschaut, wird klar, dass man Lügen nur erkennen, aber nicht verbieten kann.” (57)  Gegen falsche Tatsachenbehauptungen über den “Chaos Computer Club” durch die Firma “Microsoft” habe man sich diesem Grundsatz folgend nicht auf dem Rechtsweg gewehrt, sondern auf die Absurdität der Behauptungen aufmerksam gemacht, wodurch die Wahrheit offensichtlich wurde, ohne daß Verbote oder Filter eingesetzt wurden. (58)  Als konkretes Beispiel für die von ihm erstrebte inhaltliche Auseinandersetzung ohne Verbote führt er das Projekt “nizkor.org” an, das über die nationalsozialistische Judenverfolgung informiert und gleichzeitig zu Aufklärungszwecken Links zu Auschwitzleugnern enthält. (59)  Für ihn steht außer Frage, daß die Meinungsfreiheit auch für rechtsextremistische Propaganda gelten muß, da er davon überzeugt ist, daß “die Abschaffung der Meinungsfreiheit [...] die Abschaffung anderer Menschenrechte zwangslaeufig nach sich [zieht]”. (60)  Für den praktischen Kampf gegen Rechtsextremismus sieht Holland zwei Möglichkeiten der Herangehensweise: zum einen setzt er auf Aufklärung, Bildung und direkten Kontakt mit fremden Menschen, (61)  auf der anderen Seite vertraut er auf die Selbstkontrolle und Selbstverantwortung der einzelnen Nutzer. Zur Verdeutlichung berichtet er von einem Hacker-Kongreß, bei dem einer der vernetzten Rechner “Hetzlieder” enthielt. Anstatt zu zensieren, habe man den Besitzer des Rechners ausfindig gemacht und ihn zu den Liedern auf seinem Rechner befragt: “Da war er ganz aufgeregt und wusste nicht, wo das Zeug herkam. Er hat also die Konfiguration seines vernetzten Rechners korrigiert und die entsprechenden Dateien gelöscht.” (62)  Zwar schließt Holland aus diesem Ereignis, daß sich inhaltliche Probleme auf persönlicher Ebene weitaus effektiver lösen lassen als durch staatliche Verbote, doch übersieht er dabei offensichtlich, daß die Handlungsweise des Kongreßteilnehmers ebenfalls nur durch gesellschaftlichen Druck zustande kam, da er genau wußte, daß die (wie auch immer auf seinen Rechner gelangten) Dateien seinem sozialen Ansehen (wenn auch vielleicht nur auf diesem Kongreß) erheblich schaden können. Wären die Dateien nun absichtlich auf seinem Rechner gespeichert und hätte er sich geweigert, sie zu löschen, da sie nun gerade über das Netzwerk verbreitet werden sollten, wäre die Lösung des Problems schon nicht mehr so problemlos gewesen. Allgemein sind sich Rechtsextreme über ihre gesellschaftliche Außenseiterposition im klaren, so daß eine Diskussion nicht darauf aufbauen kann. Zwar ist Holland zuzugestehen, daß er wohl auch in diesem Falle seiner Maxime treugeblieben wäre, daß Zensur nicht infrage kommt, (63)  doch handelt es sich bei der vorgestellten Handlungsweise nicht um eine Strategie, mit der gegen bewußt provokativen Rechtsextremismus vorgegangen werden kann.




Fußnote 52      Vgl. Coy.

Fußnote 53      Vgl. Nikolaus Hablützel, CU L8TER, Wau Holland, in: die tageszeitung 2. 8. 2001, 18; Dirk Nolde, Doyen der ersten Hacker, in: Die Welt 4. 8. 2001, 33.

Fußnote 54      Wau Holland (=Herwart Holland-Moritz), Meinungsfreiheit - das wichtigste Grundrecht (Holland).

Fußnote 55      Wau Holland (=Herwart Holland-Moritz), Zensurgelüste wie im Mittelalter (Interview von Stefan Krempl), in: Telepolis 25. 1. 2001 (Zensurgelüste).

Fußnote 56      Zensurgelüste.

Fußnote 57      Wau Holland (=Herwart Holland-Moritz), Sprengstoff von morgen (Interview), in: Webmag [2001] (Sprengstoff).

Fußnote 58      Vgl. Zensurgelüste.

Fußnote 59      Vgl. Sprengstoff.

Fußnote 60      Holland.

Fußnote 61      Vgl. Sprengstoff.

Fußnote 62      Zensurgelüste.

Fußnote 63      Vgl. Holland: “Wir muessen die Rechte der Andersdenken selbst dann beachten, wenn sie Idioten oder schaedlich sind.”