0. Einführung

1. Grundsätzliches zur Internetethik
1. 1. Das Internet als Gegenstand von Ethik?
1. 2. Das katholische Lehramt zur Zuständigkeit des Staates


2. Internetaktivitäten, deren Verbot generell sinnvoll erscheint
3. Herwart Holland-Moritz: Eine Stimme aus Deutschland für grenzenlose Meinungsfreiheit
4. Die technischen Gegebenheiten und ihre ethische Problematik
5. Rechtliche Situation in Deutschland
6. Ethische Bewertung
7. Resümee
8. Literatur






1. Grundsätzliches zur Internetethik


1. 1. Das Internet als Gegenstand von Ethik?



Der katholische Sozialethiker Thomas Hausmanninger stellt zu Beginn seiner Überlegungen zu einer Ethik für das Internet zunächst die Frage, ob das Internet überhaupt “ethik-relevant” ist, insofern es von einigen als immaterieller Ort angesehen wird, der “aus den Usern in ihrer Netzexistenz körperenthobene Wesen werden läßt.” (1)  So stellt etwa die von John Perry Barlow verfaßte “Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace” das Internet als Raum körperloser Identitäten dar, in dem “eine Zivilisation des Geistes erschaffen” (2)  werden wird. Somit lehnt er die Rechtszuständigkeit eines jeden Staates für den “Cyberspace” ab: “Eure Rechtsvorstellungen von Eigentum, Redefreiheit, Persönlichkeit, Freizügigkeit und Kontext treffen auf uns nicht zu. Sie alle basieren auf der Gegenständlichkeit der materiellen Welt.” (3)  In der Philosophie Pierre Lévys folgt aus dieser Vorstellung des immateriellen Cyberspace, daß die User im Internet einander in körperloser Engelsgleichheit begegnen, so daß Ethik in diesem Umfeld auf die Notwendigkeit höflicher Kommunikation beschränkt werden kann. (4)  Frohmann lehnt eine solche Sicht des Internets ab und stellt heraus, daß jedes menschliche Handeln immer körperlich bleibt und somit eine engelsgleiche körperlose Kommunikation des Menschen, wie sie Lévy schildert, nicht existieren kann, weil Kommunikation und Information nicht etwas von der Materie und sozialen Beziehungen unabhängiges ist, sondern im Gegenteil von ihr abhängt, so daß auch die Vorstellung von “purer Information” nicht zutreffend ist. (5)  Er kommt zu dem Schluß, daß es keine eigenständige Informationsethik gibt, die sich von der allgemeinen ethischen Reflexion grundsätzlich unterscheidet. Vielmehr handelt es sich um ein Spezialgebiet der allgemeinen Ethik (6)  ebenso wie “Rechtsethik, Medizinethik, Zahnethik oder die Ethik der Klempner.” (7)  Hausmanninger schließt sich der Ansicht Frohmanns an und führt aus, daß es “kein Handeln im Cyberspace [gibt], das konsequenzenlos für die Reale Welt und die konkreten Individuen bliebe”, weil “die Reale Welt und der Cyberspace miteinander verkoppelt sind [...] und beide miteinander interagieren.” (8)  Tatsächlich dürfte kaum bestritten werden, daß das Geschehen im Internet Folgen auch in der “realen Welt” hat (“in real life”), was auch über entsprechende Studien wissenschaftlich belegt werden kann. (9)  Der Grund liegt nach Hausmanninger in der “raumzeitliche[n] und psychophysische[n] Existenz” (10)  der User, die durch ihre Verteilung über unterschiedliche Zeitzonen und ihre nur über technische Geräte vermittelte Kommunikation nicht aufgehoben wird. So ist auch im Internet ein zeitliches Nacheinander wahrnehmbar und etwas Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen machen, sondern nur entfernen. Die Konsequenzen seiner einstigen Existenz aber bleiben erhalten. (11)  Da die Handlungen im Cyberspace also nicht beliebig sind, sondern tatsächliche Konsequenzen für konkrete Menschen hat, und so “dem Handeln in der Realen Welt ähnlich ist” (12) , für das alle menschlichen Kulturen der Welt umfangreiche Regeln aufgestellt haben, sind ebensolche Regeln für das Netz notwendig. Dabei ist Hausmanninger zuzustimmen, der im Gegensatz zu Lévy diese Normen nicht auf Regeln der höflichen Konversation beschränkt sehen will. Grundsätzlich gilt also, daß die Ethik online genauso zuständig ist wie offline, so daß man zumindest auf einen ethischen Standpunkt bezogen dem Grundsatz der vielgescholtenen (13)  “Berliner Erklärung” der Konferenz “Verbreitung von Hass im Internet” zustimmen kann, wenn sie formuliert, “dass auch online verboten sein muss, was offline verboten ist.” (14)  Hierdurch ist offensichtlich, daß die Handlung des einzelnen im Cyberspace ebenso unter den Forderungen der christlichen Ethik stehen wie dessen Handlungen in der “realen Welt”. Im Zusammenhang dieser Arbeit ist das Interesse jedoch auf die Problematik gelegt, welche Aufgaben dem Staat oder vergleichbaren Institutionen zukommen, um auf Verhalten zu reagieren, das offensichtlich oder scheinbar ethisch nicht vertretbar ist und im Raum der elektronischen Kommunikation des Internets stattfindet.




1. 2. Das katholische Lehramt zur Zuständigkeit des Staates


In Dignitiatis humanae, der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Religionsfreiheit, äußert sich das Konzil zur menschlichen Freiheit in der Gesellschaft allgemein und führt aus: “Im übrigen soll in der Gesellschaft eine ungeschmälerte Freiheit walten, wonach dem Menschen ein möglichst weiter Freiheitsraum zuerkannt werden muß, und sie darf nur eingeschränkt werden, wenn und soweit es notwendig ist.” (15)  Die notwendige Schranke der Individualfreiheit sieht das Konzil im Gemeinwohl gegeben, das die Staatsgewalt gegen Mißbrauch der Freiheit schützen darf. (16)  Die Pastoralinstruktion Communio et progressio beruft sich hierauf und fordert dementsprechend, “daß die menschliche Freiheit soweit als möglich respektiert werden muß und Eingriffe nur dann und insoweit zulässig sind, als das Gemeinwohl dies fordert.” (17)  Eine Zensur sieht das Dokument aus diesen Gründen “nur im äußersten Notfall” als statthaft an. Das Konzil steht jedoch in diesem Bereich staatlichen Eingriffen grundsätzlich sehr skeptisch gegenüber und favorisiert eher eine Lösung der Selbstregulierung: “Und überhaupt: im öffentlichen Bereich gilt das Subsidiaritätsprinzip. Darauf hat das Lehramt der Kirche immer hingewiesen. Darum sollte der Staat nicht von sich aus Aufgaben an sich reißen, die einzelne oder Gruppen ebenso gut wahrnehmen können und die mitunter ohne Gesetze besser erfüllt werden.” (18)  Wie der “Päpstliche Rat für die sozialen Kommunikationsmittel” in seiner Erklärung zu Pornographie und Gewalt in den Medien 1989 klarstellte, wird das Gemeinwohl durch die Verbreitung von Pornographie und Gewaltdarstellungen gefährdet. (19)  Das Dokument zählt eine Reihe von Folgen der Pornographie und Gewaltdarstellungen auf (20)  und verweist auf die entsprechenden wissenschaftlichen Studien. (21)  Dementsprechend fordert der päpstliche Rat von den staatlichen Autoritäten, das Problem zu erkennen und darauf zu reagieren, indem entsprechende Gesetze erlassen, zu schwache Gesetze zu verschärft und vorhandene konsequent durchgesetzt werden. (22)  Bei den zu treffenden Maßnahmen müssen die “legitimen Rechte auf Freiheit des Ausdrucks und des freien Informationsaustausches [...] geachtet werden”, gleichzeitig aber ebenso “das Recht des Einzelnen, der Familien und der Gesellschaft auf Privatsphäre, auf öffentliche Anständigkeit und den Schutz der Grundwerte.” (23)  Die Argumentation, daß Pornographie zum freien Ausdruck des Persönlichkeit hinzugehören könnte und daher geduldet werden müsse, wird zurückgewiesen und betont, daß die Freiheit des Ausdrucks nicht für sich existiert, sondern durch andere Werte wie der Förderung des Wohls der Jugend, Achtung vor Frauen, Privatsphäre und öffentlichem Anstand eingeschränkt werden kann. (24) 
Der Staat ist also nach katholischer Auffassung dafür zuständig, daß die Medien nicht zur Verbreitung von Material genutzt werden, die dem Gemeinwohl schaden. Dabei ist er verpflichtet, nach dem Subsidiaritätsprinzip zunächst nach Lösungen auf niedrigerer Ebene zu suchen, die aber die Informationsfreiheit und die Freiheit des Ausdrucks nicht gefährden dürfen. Ausdrücklich gemeinwohlgefährdend sind Gewaltdarstellungen und Pornographie, der Argumentation nach dürften die Privatsphäre verletzende Medienangebote ebenfalls darunter fallen (wobei der Großteil der sogenannten “Tasteless”-Angebote unter Gewaltdarstellung zu subsumieren sein dürfte). Die hier zitierten lehramtlichen Dokumente rechneten noch nicht mit dem Internet als Medium; wenn sich die grundsätzlichen Forderungen aber ohne Abstriche auf das Internet übertragen ließen, wäre der Staat aus Sicht des Lehramtes für die Regulierung des Internets nach den oben ausgeführten Kriterien verpflichtet.




Fußnote 1      Thomas Hausmanninger, Angriff der Kontrolleure. Teil 1. Welche Ethik braucht das Internet?, in: medien praktisch 2/01 (Hausmanninger), 48.

Fußnote 2      John Perry Barlow, Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace (Barlow).

Fußnote 3      Barlow. Allerdings sieht Barlow den Cyberspace nicht als Ort ohne Regeln, sondern sieht durch die von denen der “realen Welt” verschiedenen Umstände im “Cyberspace” die Notwendigkeit eigener spezifischer Gesetze innerhalb des virtuellen Raumes: “Ob es sich aber um echte oder um nur scheinbare Konflikte handelt - wir werden sie lokalisieren und mit unseren Mitteln angehen. Wir schreiben unseren eigenen Gesellschaftsvertrag.” Wie selbstverständlich gehört zu den Regeln dieses Raumes die schrankenlose Freiheit der Meinungsäußerung hinzu: “Wir erschaffen eine Welt, in der jeder Einzelne an jedem Ort seine oder ihre Überzeugungen ausdrücken darf, wie individuell sie auch sind, ohne Angst davor, im Schweigen der Konformität aufgehen zu müssen.”

Fußnote 4      Vgl. Bernd Frohmann, Cyber-Ethics: Bodies or Bytes? (Frohmann)

Fußnote 5      Vgl. Frohmann.

Fußnote 6      Vgl. auch Bernhard Debatin, Ethische Grenzen oder Grenze der Ethik? Überlegungen zur Steuerungs- und Reflexionsfunktion der Medienethik.

Fußnote 7      Frohmann: “legal ethics, medical ethics, dental ethics, or
     the ethics of plumbers”.


Fußnote 8      Hausmanninger 49.

Fußnote 9      Vgl. Sherry Turkle, Ist das Internet männlich, weiblich oder beides? (Interview von Mike Sandbothe), in: Telepolis 20. 3. 1996.

Fußnote 10      Hausmanninger 50.

Fußnote 11      Vgl. ebd.

Fußnote 12      Hausmanninger 50.

Fußnote 13      Vgl. Stefan Krempl, Neue Großoffensive gegen den “Hass” im Netz, in: Telepolis 23. 6. 2000; Schröder 50.

Fußnote 14      Berliner Erklärung, zitiert nach Schröder 50.

Fußnote 15      Dignitatis humanae 7.

Fußnote 16      Vgl. Dignitatis humanae 7.

Fußnote 17      Communio et progressio 86.

Fußnote 18      Ebd.

Fußnote 19      Päpstlicher Rat für die sozialen Kommunikationsmittel, Pornographie und Gewalt in den Kommunikationsmedien - Eine pastorale Antwort. (Pornographie und Gewalt), Nr. 28.

Fußnote 20      Pornographie und Gewalt, Nr. 9-18.

Fußnote 21      Natürlich besteht auch hier ein wissenschaftlicher und ideologischer Streit darüber, ob Pornographie gefährlich ist und die von dem Dokument aufgeführten Folgen nach sich zieht. Es würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen, auf diese Diskussion einzugehen. Es sei daher nur auf einen Artikel verwiesen, der im direkten Gegensatz zum Dokument des päpstlichen Rates für die sozialen Kommunikationsmittel behauptet, “dass bisher kein empirischer Beleg für eine Negativwirkung von gewaltfreien Pornos existiert” und in völliger Umkehrung der katholischen Auffassung die Meinung vertritt, daß “eine positive Beeinflussung der Einstellung gegenüber Frauen [...] durch den Konsum pornographischer bzw. erotischer Darstellungen” nachgewiesen sei und ein Verbot von Pornographie auch für Minderjährige fragwürdig sei, weil sich belegen lasse, “dass Sexualstraftäter aus sexuell repressiven Elternhäusern kommen, in denen Pornographie und Nacktheit tabu sind.” (Erik Möller, Kinder sind Pornos, in: Telepolis 1. 11. 2000)

Fußnote 22      Pornographie und Gewalt Nr. 28.

Fußnote 23      Ebd. Nr. 21.

Fußnote 24      Ebd. Nr. 20.